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Am 2. September 1921 wurde ich in Mutterstadt in der Rheinpfalz geboren. Mein Vater war Lehrer, meine Mutter war ein fein empfindendes, sensibles Mädchen, das Tagebuch schrieb. Leider verlor ich meinen Vater früh.
In Mannheim besuchte ich die Oberrealschule, bestand das Abitur. In Heidelberg studierte ich Germanistik und Philosophie, war in einer Verbindung. Leider währte mein Studium nicht lange: Ich erhielt den Stellungsbefehl, mußte in die Wehrmacht, Soldat werden. In Wittlich mußten wir viel und sehr weit marschieren, wurden gedrillt und geschliffen mit schlimmen Folgen, wunden Füßen. „Hinlegen! Sprung auf marsch, marsch!“ So ging das stundenlang. – Eines Tages kamen fremde Offiziere, suchten von uns Infanteristen die intelligenten heraus, unterzogen diese einer Prüfung: Wir mußten die Morsezeichen, die sie gaben, genau, fehlerlos wiedergeben. Alle, die diese Prüfung bestanden, kamen nach Niederlahnstein bei Koblenz und lernten funken, wurden Funker. – Auf dem Truppenübungsplatz Baumholder hatten wir viel Zeit, mußten nicht marschieren, nicht exerzieren, sahen Filme, lernten Mädchen und deren Familien kennen; es war die Ruhe vor dem Sturm. In einer kalten Winternacht wurden wir verladen und fuhren nach Süden durch Deutschland, Südtirol/Italien, bei Neapel bekamen wir Quartiere, dann ging es weiter auf die Insel Sizilien. Von dort flogen uns die großen Junkers-Flugzeuge nach Tripolis. Sie flogen dicht über dem Meer, damit uns englische Flugzeuge nicht entdecken konnten. In Tripolis Quartier! Nun waren wir bei Rommel. Der Vormarsch auf Ägypten und den Suezkanal begann. Ich war Funker in einem Panzerspähwagen. Einmal wurden wir von englischer Artillerie beschossen; ich lag unter dem Panzerspähwagen in Deckung. Die Beschießung dauerte nur kurz. – In einem Geländewagen fuhren wir zwei Insassen durch die Wüste, immer nach Osten. Am nördlichen Horizont bewegte sich eine riesige Kolonne ostwärts: Wir hielten sie für die unsrigen, doch es waren sich zurückziehende englische Verbände. Ein Wagen fuhr auf uns zu, in ihm zwei Engländer mit Gewehren im Anschlag: Wir hatten keine Chance, wir waren gefangen, kamen als Gefangene in ein Lager bei Alexandria, wo uns die Flöhe peinigten. Nach einigen Tagen ging es weiter, durch den Suezkanal. An seinem Ende lag ein Schiff, so riesig, wie ich es noch nie gesehen hatte: Es war die „Queen Elizabeth“, das größte Schiff der Welt. Wie ein hoher Turm ragte es aus dem Meer. Wir gingen auf vielen Treppen an Bord, und die weite Fahrt um ganz Afrika begann. Vier Mann in einer Kajüte, es gab sogar eine Duschecke; beim Duschen fluoreszierte das Wasser in allen Farben, zauberhaft. – Zum Essen wurden wir in einen großen Speisesaal hinuntergeführt; in jeder Etage lagen Polen mit Maschinengewehren, den Finger am Abzug. Das Essen war gut und genug. In New York verließen wir das Schiff, stiegen in einen Zug, der uns in tagelanger Fahrt immer weiter nach Westen fuhr. Essen wurde uns serviert. Endstation war Lethbridge. Dort war das Gefangenenlager, ein riesiges Areal. Wir wurden in Holzhäusern mit Heizung untergebracht, konnten jederzeit duschen, Tag und Nacht. Unsere Bewacher waren gutmütige alte Leute, sie und wir wußten, daß Flucht sinnlos und tödlich war: Bären und Wölfe hätten uns zerrissen. – Unseren größten Feind, die Langeweile, diese größte Plage, gab es nicht, wir besiegten sie mit Spielen: Fußball, Handball, Tennis, Schach, Skat. Wer wollte, konnte auch stundenlang am Stacheldraht entlang spazierengehen. – Über Genf, das Rote Kreuz, erhielten wir Bücher: So wurde mir Eduard Sprangers Werk, „Diana Beata“ von Muschler und vieles andere bekannt, das ich liebte und schätzte. Jeden Tag wurde uns der Wehrmachtsbericht verlesen. Als der Krieg zu Ende war, fuhren wir denselben Weg zurück, den wir einst hergefahren waren. Ein Schiff brachte uns nach England. Es war faszinierend, am Bug zu stehen und die aufgewirbelten Meerestiere zu sehen. – Mit den Worten: „Breakfast, Dinner, Supper is now served“, wurden uns die Mahlzeiten serviert. – Es war Nacht, als wir in England, Liverpool, ankamen. Wir mußten das Schiff sofort verlassen und in das Lager gehen. Auf diesem Weg in der Nacht mußten wir aber unsere schweren Seesäcke mitschleppen, in denen sich auch die Aufzeichnungen, Tagebücher, Briefe unserer Lieben, die wir bei unserer Gefangennahme bei uns hatten, befanden. Sie waren uns überaus kostbar, wertvoll, trostreich. Da befahlen uns die englischen Soldaten, unsere Seesäcke liegen zu lassen und ohne sie weiter zu gehen. Wir hielten unser kostbarstes Gut für unwiederbringlich verloren, waren verzweifelt. Doch wir mußten tun, was uns befohlen wurde, und gingen ohne unsere Seesäcke weiter in das Lager. – Doch am anderen Morgen, welche Überraschung, welche Freude: Unsere Seesäcke waren wieder da! Die englischen Soldaten hatten sie in unser Lager getragen; Landser-Solidarität hatte nationale Grenzen gesprengt! – England ist eine Insel. Wohin wir auch gingen, überall stießen wir auf das Meer. Hinüber schwimmen in das Land unserer Sehnsucht und Liebe, unser Vaterland, konnten wir ja nicht. Damit waren wir in einer ähnlichen Lage wie einst Robinson Crusoe. – Wir waren in einem Lager, zuerst in Wellblechbaracken, dann in Holzhäusern mit Zimmern, konnten frei umhergehen, arbeiteten im Straßenbau. Ich bewunderte die malerische englische Parklandschaft – nirgends sah man Felder wie bei uns, keine Roggen-, Rüben- oder sonstigen Felder, sondern immer nur diese schöne Parklandschaft. – Endlich kam der Tag, an dem ich wieder deutschen Boden betrat, in Munsterlager. Dort erhielten wir unsere Entlassungspapiere von der Wehrmacht, waren wieder Zivilisten, demobilisiert. Auf meiner Fahrt nach Mutterstadt in der Rheinpfalz sah ich mit tiefem Schmerz und Entsetzen die zerbombten Städte. Mein geliebtes Mainz, wo ich studiert hatte, war ein Trümmerfeld. Auch Mannheim war getroffen, doch Heidelberg war verschont geblieben. – In Mutterstadt sah ich meine Mutter wieder. Unser schönes neues Haus war durch eine Luftmine zerstört worden, meine Mutter überlebte nur, weil sie im Luftschutzkeller eines unweit entfernten Nachbarhauses war. Meine Mutter hielt nun den Kindergottesdienst. –
Nach meiner Heimkehr ergriff ich den schönsten Beruf der Welt: Ich wurde Schriftsteller, Dichter. Doch das kann man nicht werden, dazu muß man geboren sein.
Nachträge, Ergänzungen, Paralipomena:
Da unter uns Gefangen auch Schauspieler waren, wurden auf der großen Bühne in Saal 1 auch Schauspiele aufgeführt: „Egmont“ und „Kolberg“, bravourös, unvergeßlich. – Eines Tages sagte ein Kamerad zu mir: „Du hast doch Philosophie studiert. Dort drüben in dem Zelt ist auch ein Philosophiestudent.“ Ich ging hinüber, und es entstand eine wunderbare, lebenslange Freundschaft mit Erwin Moser aus München.