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Leitlinien Unfallchirurgie
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In unseren vorherigen Arbeiten zur aristotelischen Zoologie rückte nach der Frage zur Klassifikation der Tiere in der Historia animalium die Frage nach den verlorengegangenen Bildern zur Aristoteles’ Zoologie in den Vordergrund: Wie mögen sie ausgesehen haben und welche Rolle hatten sie für das Verständnis der Texte? Die Idee einer Rekonstruktion des aristotelischen Anatomieatlasses kam auf und schien nach unserer Untersuchung zu den Anforderungen an ein solches Unternehmen auch möglich. Aber die Wahrscheinlichkeit für ein Gelingen dieses Vorhabens stand und fiel von Anfang an mit dem wohl schwierigsten Begriff aus der Zoologie des Aristoteles: bránchia, üblicherweise mit ‚Kiemen‘ übersetzt. Wie könnten die Angaben zu dieser anatomischen Struktur in den zoologischen Schriften des Corpus Aristotelicum visualisiert gewesen sein? Die Auseinandersetzung mit dieser Frage führte zu einem Manuskript, das den Rahmen eines Aufsatzes für eine Fachzeitschrift sehr bald sprengte. Das angestrebte Ergebnis entstand dabei nicht. Dafür entstand die Rekonstruktion der Geschichte eines Begriffs, angefangen mit dem Auftauchen seiner frühesten literarischen Spuren.
ISBN-13 (Impresion) | 9783736977686 |
ISBN-13 (E-Book) | 9783736967687 |
Idioma | Deutsch |
Numero de paginas | 154 |
Laminacion de la cubierta | mate |
Edicion | 1. |
Lugar de publicacion | Göttingen |
Fecha de publicacion | 10.05.2023 |
Clasificacion simple | Libro de divulgacion |
Area |
Historia de la ciencia y economía
Biología |
Palabras claves | Biologie, Geschichte, Biologiegeschichte, Begriffsgeschichte, Antike, Moderne, Renaissance, Aufklärung, Ichthyologie, Kieme, Atmung, Fische, Krebse, Tintenfische, Zoologie, Historia animalium, Klassifikation, Anatomie, bránchia, Corpus Aristotelicum, Atemtheorie, Blutkreislauf, Holobranchien, Hemibranchien, Aristoteles, Anaxagoras, Diogenes Apollonius, Empedokles, Demokrit, Platon, Rondelet, Willughby, Artedi, Lacépède, Lamarck, Oken, Owen, Biology, history, history of biology, history of concepts, antiquity, modernity, renaissance, enlightenment, ichthyology, gill, respiration, fish, crustaceans, squid, zoology, classification, anatomy, respiratory theory, blood circulation, holobranchs, hemibranchs |
ALEXANDER FÜRST VON L IEVEN – MARCEL HUMAR
Was ist eine Kieme? Zur Geschichte des Kiemenbegriffes von der Antike bis zur Moderne Göttingen, Cuvillier Verlag. 2023. 147. S. Ill. 8°
Dieser schmale Band, erwachsen aus der Kooperation eines Gräzisten (M. Hu- mar, fortan H.) und eines Biologen (A. Lieven, fortan L.), entfaltet die „Geschichte des Kiemenbegriffes von der Antike bis zur Moderne“. Die Antike bis zu Galen wird in der ersten Hälfte besprochen, deren größerer Teil dem Aristoteles und dessen Terminus βράγχια gewidmet ist. Die zweite Hälfte beleuchtet den sich wandelnden Kiemenbegriff der Moderne. Regelmäßige Zitate aus den Quellentexten geben Einblicke in die Wissenschaft der jeweiligen Zeit und werden durch Originalübersetzungen der Bearbeiter erschlossen. Daneben finden sich illustrative Abbildungen, teils farbig, der relevanten Anatomie sowie schematische Originalabbildungen, die das historische Verständnis der Kiemen und ihrer Funktion zusammenfassen.
H. und L. klären damit mitnichten nur ein anatomisches Detail, sondern zeigen, wie eng verflochten der Kiemenbegriff z.B. mit historischen Vorstellungen von Körpertemperatur, Blutzirkulation, Atmung, Luft bzw. Sauerstoff sowie der Klassifikation von Lebewesen ist. Die Autoren haben sich mit ihrer Arbeit zweifellos ein Forschungsdesiderat vorgenommen und dieses mit großer Eigeninitiative zugänglich gemacht. In die Arbeit eingeflossen sind sogar „eigene Beobachtungen an Material der Zoologischen Lehrsammlung der Freien Universität Berlin sowie Fotos und Skizzen von Sektionen in Lehrveranstaltungen“ (11). Die Fülle an Recherchen und Material, das hier einfloss, war vielleicht ein Faktor, der die recht häufigen Rechtschreibfehler begünstigte – sogar im Werbetext auf der Buchrückseite. Auch markant das mehrfache Wechseln von „un opercule“ zu „une opercule“ (93), obwohl sonst durchweg mehrere Fremdspra- chen sicher geschrieben und übersetzt werden. Nur ein Akzentfehler gleich am Anfang (βρἀγχιοις, 16). Die Analysen der Quellentexte basieren auf sorgfältigen Übersetzungen1 der Autoren und sind zumeist überzeugend.
Das anvisierte Publikum dürfte sich vor allem aus Klassischen Philolog:innen bzw. Biolog:innen mit wissenschaftshistorischem Schwerpunkt rekrutieren. Als Leserin aus der erstgenannten Gruppe kam ich ohne gelegentlichen Zugriff auf ein Lexikon der Biologie nicht aus, da die verwendete Fachterminologie häufig vorausgesetzt bzw. erst an späterer Stelle näher erläutert wird (z.B. Kiemenblättchen, Ambulacralgefäßsystem u.a.dgl.). Insbesondere eine Erläuterung des Kiemenapparates und seiner Funktionsweise nach heutiger Vorstellung bereits in der Einleitung wäre willkommen gewesen, da vor diesem Hintergrund ja der antike und moderne Kiemenbegriff eruiert wird. Insgesamt aber ist, gemessen an der fachlichen Tiefe, eine lobenswerte Verständlichkeit gewährleistet (wenngleich der auf der Buchrückseite getätigte Anspruch, sich mit der Kieme „den wohl schwierigsten Begriff aus der Zoologie des Aristoteles” vorgenommen zu haben, wohl nicht gegen Widerspruch immun sein dürfte).
Der in aller Kürze skizzierte methodische Hintergrund ist folgender. H. und L. weisen darauf hin, dass die „Übersetzung von βράγχια mit Kiemen [..] eine Hypothese über die Bedeutung des Wortes“ sei (11). Um auf den Kiemenbegriff des Aristoteles wirklich zugreifen zu können, müsse die Bedeutung des Wortes βράγχια demnach allein aus dem Kontext erschlossen werden. Zusätzlich machen sich H. und L. die Methode des „vergleichenden Sehens“ zunutze, mithin die Tatsache, dass Kiemen sich von der Antike bis heute den Betrachtenden (mehr oder weniger) gleich präsentieren. Diese Methode wird nicht weiter theorisiert, sondern hochpragmatisch umgesetzt, und wird ihren Anforderungen gerecht. Ob ‚das Sehen‘ wirklich frei genug von Vorurteilen ist, um die beschriebene Vorgehensweise in jedem Einzelfall zu rechtfertigen, ist fraglich. Auch Aristoteles war kein völlig objektiver Beobachter, sondern verständlicherweise von seinen eigenen Paradigmen geleitet. Dieser Umstand ist nicht unbedeutend für das Anliegen, die Widersprüche zu klären, die sich beispielsweise aus Aritoteles’ Besprechungen von βράγχια ergeben.
Der Band beginnt damit, heutige Vorstellungen von Kiemen bei Laien darzutun, wie sie sich aus einer kleinen, von H. und L. getätigten Umfrage mit ca. 30 teilnehmenden Studierenden ergeben haben. Der Impetus scheint hier der Ge- danke zu sein, dass diese Laienvorstellungen denen der Antike ähnlich seien, wie die Übereinstimmungen zwischen ausgewählten Skizzen heutiger Studierender und Darstellungen auf antiken Fischtellern nahelegen sollen. Dieser Teil ist eine schöne Geste, wird aber zum Glück nur suggestiv erwähnt und nicht offen argumentativ belastet. Denn was genau sagt es über den Kiemenbegriff von Fachleuten aus, wenn einzelne Laien damals wie heute die Kiemendeckel von Fischen halbrund und in falscher Anzahl (womöglich inspiriert von
den mehrfachen Kiemenschlitzen der Knorpelfische) einzeichnen? Schon für einen Wissenschaftler wie Aristoteles ist eine solche Laiendarstellung irrelevant – auch H. und L. gehen ja von eigenen Sektionen des Stagiriten aus, die ihn weit jenseits solcher Laienvorstellungen katapultieren sollten.
Auf diesen Teil folgt eine sinnvolle etymologische Studie von βράγχια sowie βράγχος/βρóγχος. Hier zeigt sich aber leider auch die Tendenz, unharmonische Einzelbefunde auf ein gewünschtes Ergebnis zu reduzieren – was in der Studie nur ‚nahegelegt‘ oder ‚denkbar‘ (17) war, ist im Fazit ‚belegt‘ (25). Eine ähnliche Tendenz in der Besprechung der Ergebnisse aus arabischen Übersetzungen des Aristoteles. Argumentativ verwirrend ist ferner die auf S. 39 diskutierte Möglichkeit, dass Aristoteles manchmal Flossen als βράγχια bezeichnen könnte, obwohl er, wie H. und L. selbst bemerken, Flossen und βράγχια in Historia animalium II 13.504 b 28–33 begrifflich ausdrücklich scheidet. Die hohe Qualität, die sich in der Besprechung der Quellentexte durchweg findet, wird davon zum Glück nicht berührt. Aristoteles selbst, so das Ergebnis, benennt als βράγχια verschiedene anatomische Strukturen, die mit dem heutigen Kiemenapparat assoziiert sind. Dies seien „vor allem die halbmondförmigen Begrenzungen der Kiemenspalten“, und im Falle der Knochenfische, wo er nicht die Kiemendeckel meint, die „Kiemenblättchenreihen“ (52), also just diejenigen Strukturen, durch die nach heutigem Wissen der im Wasser enthaltene Sauerstoff absorbiert wird. Zugleich wird Aristoteles ibidem dennoch eine Nähe zu den (biologisch irreführenden) Fischtellern seiner Zeit unterstellt. Glaubwürdiger ist da noch eine Beeinflussung des Aristoteles durch die Herleitung von βράγχια als „rauer Hals“ im „Volksmund“ (52).
Im Fortgang der Antike wurde Aristoteles’ Behauptung, Fische und Weichtiere (z.B. Muscheln, Tintenfische) atmeten nicht,4 von Plinius und Galen revidiert. Es war schließlich der Renaissance-Biologe Rondelet, der die Kiemen der Weichtiere als Entsprechung zu den Kiemen der Knochen- und Knorpelfische zu bestimmen wusste. Befördert wurde diese Entdeckung durch die Auffassung wasserlebender Weichtiere als ‚Fische‘. Galens Postulat von guten und bösen Qualitäten in der Luft bzw. im Wasser, von denen Fische durch Poren ihrer βράγχια die guten aufnehmen, lebte in der Moderne scheinbar fort, z.B. in Stephen Hales (1677–1761) „noxious vapour“, was womöglich als „eine unbewusste Beschreibung des Kohlendioxids“ (95) verstanden werden kann. Ebenso tauchen Galens Poren in Lacépèdes Schilderung (1798) davon auf, wie „gaz oxygène die Membranen der kleinen Blutgefäße durchdringt“ (98). Obwohl H. und L.s Wissenschaftsgeschichte sich ansonsten nicht der materialistischen Analyse befleissigt, fällt im Kapitel über den Biologen Hales das interessante Detail, dass sein Interesse nicht nur dem Frischluftbedarf der Fische, sondern auch dem „großen Nutzen von Ventilatoren u.a. zur Erhaltung von Leben und Gesundheit von Menschen in Sklaven- oder anderen Transportschiffen“ (96 Anm. 227) galt. Ansonsten wird der größere historische Kontext der Wissenschaft ausgeblendet – was in einer so fokussierten Einzelstudie gewiss auch die pragmatischste Lösung ist.
Noch Carl von Linné ließ sich im 18. Jahrhundert dahingehend irreführen, dass er den Knorpelfischen eine Lunge zuschrieb, sodass seine Klasse der pisces nur die Knochenfische umfasste. Mit dem Aufkommen immer besserer Beobachtungsmöglichkeiten entdeckte man späterhin auch neue, leider falsche Kandidaten für sog. „innere Kiemen“, z.B. die „kaum erforschten Exkretionsorgane Wirbelloser“ (131), bis schließlich die heutigen Kriterien dafür bestimmt waren, was als Kieme gelten darf. So lässt sich anhand der Irrungen und Wirrungen der Ichthyologie und der Kiemenforschung der Fortschritt der Biologie als Disziplin anschaulich nach- vollziehen. Insgesamt ein wertvolles Buch, obschon – oder gerade weil – hochspezialisiert, das mit ansprechender Darstellung und fundierter Kenntnis überzeugt.
Ludwig-Maximilians-Universität Katharina Ep s t ein
München Katharina.epstein@klassphil.uni-muenchen.de